Alles was ist, wird einst vergessen sein.
Das Leben ist die Summe unserer gesammelten Momente. Einzigartige Schätze emotionaler Feuerwerke liegen wohlbehütet, in der Zeit sortiert, tief in unserem Innersten.
Die Momente, die die tiefsten Emotionen tragen, überlagern die Erinnerungen, die wir in uns suchen müssen. Eine bunte Mischung aus Trauer, Glück, Freude, Sehnsucht, Liebe, Angst und mehr formt unseren Charakter im Laufe des kurzen Lebens auf diesem Planeten zu einem kunstvollen Einzelstück.
Und nun sitze ich unten am Fluss unter der alten Eiche und denke an diesen besonderen Moment zurück, der mich das Leben spüren ließ. Ich lausche dem Rascheln der Blätter in den Baumkronen im lauen Wind des Sommerabends und meine Gedanken treiben wie ein von sanften Wellen getragenes Ruderboot zu längst gelebten Zeiten, wo sie kurz vor Anker gehen, bevor sie weiter ziehen.
Ich werfe einen kleinen Stein in die nahezu glatte Oberfläche und Ringe breiten sich aus wie erlebte Momente, die sich weiter hinten in der Strömung verlieren. Und dann schaue ich ihnen zu, bis auch der letzte Ring in sich selbst verschwindet und den Stein in Vergessenheit taucht. Versunken und vergessen im Fluss der Zeit.
Und irgendwann werde auch ich vergessen, diesen Stein jemals geworfen zu haben. Werde mich in der Zeit verlaufen und wie die Ringe auf der Wasseroberfläche in die weite Welt getrieben werden und mit ihr verschmelzen.
Ich laufe, tanze und stolper durch das Leben, dem Ende immer einen Schritt voraus. Und während die Tage verstreichen, versuche ich mein Gleichgewicht zu finden. Der ruhige Atem zwischen den chaotischen Gedanken und den stürmischen Emotionen. Und so balanciere ich auf meinem Weg, immer einen Schritt vor den anderen am Abgrund entlang. Doch die Zeit holt alles ein, was irgendwann stehen bleibt. Und eines Tages wird die Summe meiner Momente zu Staub zerfallen.
Wie ein liebgewonnener Mantel der Geborgenheit schmiegen sich meine Erinnerungen an meine Seele und begleiten mich tapfer bis zu dem Tag, an dem mir dieser kostbare Mantel abgenommen wird und ich genauso gehe, wie ich einst das Leben betrat.
Doch vielleicht ist der Fluss des Lebens nichts Anderes, als das ständige Verschmelzen von Erinnerungen und Vergessen. Ein unaufhörliches Spiel aus Wellen, die an das Ufer des Jetzt brechen und kurz unsere Aufmerksamkeit einfordern.
Ich lausche der kurzen Windstille und es fühlt sich an, wie ein feiner Riss im Jetzt. Ein Moment, vergessen von der Zeit, der ganz mir gehört. In diesem kurzen, intimen Augenblick, höre ich das Leben flüstern. Ich spüre das unsichtbare Band der Welt. Ein Gewebe aus Momenten lässt feine Ringe von mir treiben, die sich in die Welt ausbreiten. Ich schließe meine Augen und atme tief ein.
Eine Welle schwappt ans Ufer.
Vielen Dank für’s Lesen meines Textes „Vergessen“. Vielleicht interessiert dich ein weiterer Text zum Thema Zeit? Zeit, wohin gehst du?
Das Beitragsbild wurde mit Microsoft Designer erstellt.
Ich stimme Bella zu, ein gelungener Text lieber Rainer, der einen nachdenklich zurücklässt. 🙂
Vielen Dank, für dein tolles und positives Feedback! Das freut mich sehr😊
Du hast ein Talent, mit Worten umzugehen.
Man ließt es, ohne vorherige Erwartungen und am Ende ist man nicht nur positiv überrascht. Sondern man bleibt auch nachdenklich zurück.
Herzlichste Grüße,
Bella
Vielen Dank für das tolle Feedback! Ich freue mich sehr, dass dir der Text so gut gefällt. Danke fürs Lesen!